Kunst und Kultur nach dem Nationalsozialismus

CfA: Kunst und Kultur nach dem Nationalsozialismus (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 40, 2025)

Veranstalter
Jutta Braun; Winfried Süß; Redaktion der Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus
PLZ
14467
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
01.03.2024 - 31.12.2024
Deadline
09.02.2024
Von
Winfried Süß, Abt. IV: Regime des Sozialen, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung

Die zeithistorischen und kunstwissenschaftlichen Meistererzählungen waren lange von der Vorstellung eines Neubeginns nach 1945 geprägt. Neuere Ausstellungs- und Forschungsprojekte haben stattdessen fließende Übergänge und widersprüchliche Bezugnahmen auf die NS-Kunst im Nachkriegsdeutschland akzentuiert. Daran anknüpfend möchte der Band mit einem interdisziplinären Zugang die Rolle des Kulturbetriebs für die NS-Aufarbeitung sowie für Demokratisierungsprozesse und ihre Blockaden untersuchen.

CfA: Kunst und Kultur nach dem Nationalsozialismus (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 40, 2025)

Jutta Braun/Winfried Süß (Hrsg.)

In einer zäsurüberwölbenden, von den 1920er bis in die 1970er Jahre reichenden Perspektive richtet der Band 2025 der BGNS den Fokus insbesondere auf NS-Belastungen in den künstlerischen, bürokratischen, akademischen und publizistischen Eliten des Kulturbetriebs und ihre Folgen, auf die Beharrungskraft kunstvermittelter rassistischer und antidemokratischer Denkmuster und Praktiken, auf Kulturräume und künstlerische Werke als Anker rechtskonservativer Sammlung, aber auch auf veränderte Leitlinien der Kanonisierung, die stilistische und inhaltliche Anpassung von Kunstschaffenden daran und die Funktionalisierung künstlerischer Vergangenheitsbezüge in der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges.

Im Zentrum stehen hierbei zwei miteinander verschränkte Leitfragen:
- erstens die Frage nach personellen Kontinuitäten und ihren tragenden Netzwerken und Milieus,
- zweitens die Frage nach Wandlungen im gesellschaftlichen Gebrauch von Kunst sowie ihren unterschiedlichen Funktionalisierungen nach 1945.

Folgende thematische Schwerpunkte und Fragen können den Band strukturieren:

1. Entnazifizierung im Kulturbetrieb?
In der NS-Zeit diente die deutsche „Hochkultur“ als Referenzpunkt rassischer Überlegenheitsvorstellungen. Offenkundig wirkte dieser Mythos über 1945 hinaus und erschwerte den Elitenwechsel im Kulturbereich. So ist für das Musikleben gezeigt worden, wie der Respekt vor der „Weltgeltung“ deutscher Komponisten und Berufsmusiker bei Besatzungsoffizieren in Ost und West zu einer vergleichsweise milden Praxis gegenüber NS-Unterstützern im Musik-bereich führte. Der geplante Band möchte diese Ausgangsbeobachtung zu der Frage erweitern, inwiefern die angebliche „Politikferne“ der Hochkultur als Entlastungsstrategie NS-belasteter Künstler und Kunstwissenschaftler genutzt wurde.

2. Remigration
Wie artikulierten sich die ästhetischen Perspektiven ehemals NS-verfolger Künstler:innen innerhalb der Nachkriegs-Kulturlandschaften? Wie reagierte das Publikum auf Kunstschaffende, die ins Exil gegangen waren? Auf welche Probleme stießen Remigrant:innen in den verschiedenen Kultursparten bei ihrer Rückkehr in Akademien, Theater- und Filmensembles und Orchester? Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit ehemaligen Protagonist:innen des NS-Kulturbetriebs?

3. Neuorientierung und NS-Belastung in Kulturinstitutionen
Im Unterschied zur Behördenforschung, die seit rund 15 Jahren administrative Institutionen der Bundesrepublik (und zum Teil auch der DDR) auf personelle und programmatische NS-Kontinuitäten prüft, ist bislang kein vergleichbar gründlicher Blick auf die Landschaft der Kultureinrichtungen im geteilten Deutschland gerichtet worden. Hier wäre zu fragen, inwieweit Kulturinstitutionen die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit suchten oder mieden. Wie gingen große Ausstellungshäuser und Museen etwa mit den Lücken um, die durch die „Säuberungswellen“ der NS-Kunstpolitik geschlagen worden waren? Mit welchen Strategien suchten Sammlungen, Orchester und Theater den Anschluss an internationale ästhetische Trends? In personeller Hinsicht wäre zu fragen, weshalb NS-belastete Personen nicht nur in überkommenen Kulturinstitutionen im Amt blieben, sondern auch erst Jahre nach dem Krieg neu gegründete Einrichtungen und Gremien mit NS-Belasteten an der Spitze ihre Arbeit aufnahmen.

4. Künstlerische Positionen zu Holocaust und NS-Verbrechen
Warum blieb die Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Massenverbrechen – anders als in der Literatur – eine Randerscheinung in der Welt der bildenden Kunst der Nachkriegszeit und ein Werk wie „Tante Marianne“ (1964) von Gerhard Richter eher eine Ausnahmeerscheinung? Welche Ereignisse und Debatten beförderten die künstlerische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Massengewalt? Welche Position nahm die künstlerische Verarbeitung des Nationalsozialismus im Rahmen der staatlich geförderten Kunst in Ost und West ein?

5. Kunstvereine im politischen Systemwandel
Die rund 300 Kunstvereine, in denen traditionell Künstler, kunstinteressierte Bürger:innen sowie Fördermitglieder aus der Wirtschaft zusammenfanden, gehören zu den einflussreichsten Institutionen zivilgesellschaftlicher Kulturproduktion. Denn nicht nur in populären Großausstellungen, sondern auch unter den Kunstinteressierten vor Ort wurde verhandelt, welche Kunst „relevant“ war. Die Bedeutung der Kunstvereine für die Förderung und Abschattung bestimmter Kunstrichtungen ist für die Zeit nach 1945 bisher nur ansatzweise untersucht worden. Zentral ist in unserem Kontext die Frage, welche ästhetischen und politischen Legitimationsstrategien die Fortsetzung des Vereinslebens nach 1945 – zum Teil mit unverändertem Vorstandspersonal – ermöglichten und inwiefern sich damit eine Kontinuität exkludierender Praktiken verband.

6. Auftrag: Kunst! NS-Kunst und NS-Künstler:innen im geteilten Nachkriegsdeutschland
Vielen im „Dritten Reich“ geschätzten Künstler:innen gelang im geteilten Deutschland eine künstlerisch und kommerziell erfolgreiche Laufbahn. Auch blieb die Kunst NS-belasteter Bildhauer und Maler weiterhin im öffentlichen Stadtraum präsent, und zwar nicht nur mit Arbeiten aus der Zeit vor 1945, sondern auch mit zeitgenössischen Auftragswerken. Welche Netzwerke und ästhetischen Vorstellungen ermöglichten Karrieren NS-Belasteter als staatlich geförderte Kunstschaffende in der DDR und Auftragnehmer von Politik, Unternehmen und Kirchen in der Bundesrepublik? Wo, aus welchen Gründen und mit welcher Wirkung wurden Gegenpositionen formuliert, etwa in der Skandalisierung durch Bürgerinitiativen, Parteien oder Medien?

7. Populärkultur
In diesem Kontext ist auch nach vergangenheitspolitischen Bezügen in der Populärkultur zu fragen: So waren bis in die 1960er Jahre antiwestliche Ressentiments und „erziehungsdiktatorische“ Züge (Axel Schildt) in den Medien der Bundesrepublik wie der DDR präsent, im Westen in Gestalt kulturkonservativ-elitärer Positionen, im Osten durch sozialistisch motivierte Herabwürdigung westlicher Populärkultur. Welchen Zuspruch konnten im Schatten dieser Abwehrreflexe etwa rassistisch und völkisch konnotierte Filme, Schlager oder Volksliedgut bis weit in die 1970er Jahre finden?

Wir freuen uns über Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen.

Bitte übermitteln Sie uns bis zum 9. Februar 2024 ein Exposé von ein bis zwei Seiten, in dem Sie Fragestellung und Quellengrundlage Ihres Beitrags skizzieren, sowie ein kurzes CV. Die Auswahl durch die Redaktion der BGNS erfolgt bis Ende Februar 2024.

Abgabetermin der Manuskripte (45.000 Zeichen inklusive Leerzeichen und Fußnoten) ist der 31.12.2024. Der Band wird im September 2025 erscheinen.

Kontakt

braun@zzf-potsdam.de
suess@zzf-potsdam.de

https://www.beitraege-ns.de
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung